top of page
  • AutorenbildSteffi

"Ich möchte die Leute ermutigen, psychische Angelegenheiten zu thematisieren"

Aktualisiert: 1. Juni 2022


Steffi:

Schön, dass du zu diesem Gespräch bereit warst. Du hast dich bei deinem Arbeitgeber „geoutet“, bzw. ihm erzählt, dass du psychische Probleme hast?


C.L.:

Ja genau. Das ist die erste Arbeitsstelle, bei der sie darüber Bescheid wissen. Ich bin seit August in einer berufsbegleitenden Ausbildung und hätte meine Stelle im Oktober antreten sollen. Leider bin ich dann wegen meiner psychischen Probleme bereits von Beginn an ausgefallen. Deshalb haben sie mir in der Klinik auch ans Herz gelegt, den wahren Grund für meine Abwesenheit mitzuteilen. Das brauchte sehr viel Überwindung, ich hatte echt Schiss, dass sie mir gleich wieder kündigen. Mein Arbeitgeber hat aber sehr wohlwollend und verständnisvoll reagiert. Er hat mir gesagt, dass sie bereit seien, zu warten und ich mir die Zeit lassen solle, die ich brauche.


Steffi:

Ich war dazumal bei einer kleinen Firma angestellt und die haben super reagiert. Allerdings weiss ich auch, dass es bei kleinen Firmen manchmal eher schwieriger sein kann, weil sie finanziell schlechter dastehen und sich weniger leisten können. Meine damaligen Arbeitgeber waren allerdings trotzdem sehr verständnisvoll und grosszügig.


C.L.:

Sehr schön. Ich glaube, viele haben mehr Verständnis, als man denkt, aber oft getraut man sich halt gar nicht erst, es anzusprechen.


Steffi:

So ist es. Allerdings habe ich eine Person im Bekanntenkreis, der gekündigt wurde, nachdem sie eine Zeit lang nicht ihre Leistung erbringen konnte.


C.L.:

Das habe ich leider auch schon gehört.

Steffi:

Es gibt natürlich beides, da muss man realistisch sein. Aber es scheint immer mehr Betriebe zu geben, in denen verständnisvoll auf solche Situationen reagiert wird. Schliesslich wurde in den letzten Jahren auch viel Aufklärung betrieben, was psychische Krankheiten angeht.

C.L.:

Ja, ich empfinde das Thema „psychische Krankheiten“ immer noch ein wenig als ein Tabuthema, aber es wird zum Glück immer häufiger darüber gesprochen. Man versteht heute auch eher, dass psychische Krankheiten und physische Krankheiten gleichwertig sind. Es ist meine Hoffnung, dass es noch mehr zum Thema wird und man auch noch mehr Verständnis dafür entwickelt. Meine letzten Arbeitgeber haben von nichts gewusst, da bin ich allerdings auch nicht gross ausgefallen. Allerdings hatte ich ständig Sorge, dass sie es herausfinden könnten. Deshalb dachte ich, ich müsse möglichst noch mehr leisten, als andere, damit es nicht auffällt.


Steffi:

Das verstehe ich. Bei mir war es so, dass ich lange den Anspruch an mich hatte, dass ich auch im Kleineren nicht ausfallen dürfe. Irgendwann habe ich dann jedoch gelesen, dass Arbeitnehmer*innen in der Schweiz durchschnittlich acht bis zwölf Tage krank sind. Trotz meiner Einschränkungen war ich nicht über diesem Durchschnitt und da habe ich mir mal gesagt, dass ich meinen Anspruch vielleicht auch ein bisschen loslassen sollte. Ausserdem habe ich mir mit Hilfe meines Job-Coaches die Option auf Homeoffice ausgehandelt. Das hat mir an den Tagen geholfen, an denen ich nicht so fit war und nicht unter Menschen wollte.


C.L.:

Mein Therapeut musste mir auch erst sagen, dass ich auch krank sein dürfe. Ich ging früher sogar arbeiten, wenn ich beispielsweise eine Blasenentzündung hatte. Da denke ich jetzt „hä, wieso hab ich das getan?“ Aber nochmals zurück zu meiner Ausbildung. Da muss ich jetzt in bestimmten Fächern Equivalenznachweise schreiben. Das müssen alle machen, die länger oder öfters fehlen. Damit zeigt man, dass man den Stoff verstanden hat. Daneben muss ich aber zum Glück nichts nachholen.


Steffi:

Das finde ich ein gutes Angebot…


C.L.:

Ja, ich finde es auch toll. Ich habe zum Glück auch keine Prüfung verpasst, deshalb kann ich dir jetzt nicht sagen, was in diesem Fall passiert wäre. Ich erlebe die Verantwortlichen jedoch grundsätzlich als sehr kulant und die Schule ist wirklich familiär. Meine Dozent*innen haben auch immer wieder nachgefragt, wie es mir geht.

Steffi:

Wie hast du das mit Mitstudent*innen und Mitarbeiter*innen erlebt?


C.L.:

Es ist eben eine Einzelstelle, das heisst ich habe nicht in dem Sinne ein Team um mich herum. Meine Vernetzungspartner*innen haben allerdings auch recht gut und verständnisvoll reagiert. Sie haben nicht nachgebohrt, was denn jetzt genau war, sondern haben es einfach so akzeptiert. Sie haben mich eigentlich nur gefragt, wie es mir denn jetzt gehe. Viele meiner Mitstudent*innen haben allerdings nachgefragt, was genau ist. Die Schule hat überhaupt keine Informationen weitergegeben. Ich habe aber vor allem Interesse von Seiten der Student*innen erlebt. Allerdings sind wohl an der Schule auch viele, die ihre eigenen Themen und Geschichten haben. Wenn ich mich jemandem geöffnet habe, haben die meisten gesagt, dass sie das Thema selbst auch kennen.

Steffi:

Das war auch immer meine Erfahrung. Ich ging eigentlich nach meinem Zusammenbruch immer sehr offen mit dem Thema um und habe nie eine schlechte Erfahrung gemacht. Die meisten haben gesagt, dass sie selbst oder Leute aus ihrem Umfeld auch unter Depressionen leiden oder gelitten haben.


C.L.:

Ja, eigentlich ist es ja auch nicht verwunderlich. Eine von fünf Personen leidet ja im Lauf ihres Lebens unter Depressionen. Ich halte zwar eigentlich gar nicht besonders viel von Diagnosen. Meine Erfahrung ist, dass es bei den verschiedenen Krankheitsbildern viel mehr Parallelen gibt, als man annehmen würde. Und im Alltag sind ja sowieso viele Krankheitsbilder missverstanden, teilweise aufgrund von Filmen oder aus anderen Gründen.


Steffi:

Das stimmt. Es gibt bei den Krankheitsbildern oft noch verschiedene Formen. Ich hatte beispielsweise nie depressive Phasen, in denen ich morgens nicht aufstehen konnte. Bei mir waren es immer andere Symptome, die im Vordergrund standen.

C.L.:

Genau. Es ist sehr individuell, das kommt noch hinzu.

Steffi:

In der Selbsthilfegruppe, in der ich mal war, gab es Leute, die waren mehrere Monate stabil und dann waren sie wieder zwei Monate lang in einem tiefen Loch. Bei mir war es immer eher dieses permanente, unterschwellige Gefühl, das keinen Tag wirklich weg war.


C.L.:

Bei mir ist es eher phasenweise. Ausserdem ist es bei mir offenbar schwierig, eine genaue Diagnose zu stellen, weil ich in vielerlei Hinsicht nicht „klassische“ Symptome habe. Aber ich glaube mittlerweile, dass das vielen so geht. Und wir haben wohl noch vieles zu lernen, was die Psyche betrifft!


Steffi:

In Amerika machen sie ja schon länger SPECT-Aufnahmen des Gehirns. Damit können sie zum Beispiel Über- oder Unterfunktionen im Gehirn erkennen. Die Bilder helfen ihnen bei der Diagnose und natürlich können so auch spezifischere Therapien angeordnet werden. Spannenderweise gibt es anscheinend Menschen mit Depressionen, die in einem bestimmten Hirnbereich eine Unterfunktion haben und solche, die eine Überfunktion haben. Also ist es meiner Meinung nach auch total logisch, dass nicht jede Therapieform bei jedem Menschen gleich wirkt. Eine*r braucht vielleicht eher Meditationen, um runterzukommen, ein*e andere*r vielleicht eher Stimulation.


C.L.:

Warum macht man denn das hier in der Schweiz nicht mit diesen Bildern?

Steffi:

Das habe ich mich auch schon gefragt, ich kann es dir leider nicht beantworten. Als ich begonnen habe, mich mit dem Thema zu befassen, bin ich schnell mal auf die Amen Clinics gestossen. Die machen diese Bilder schon seit Jahrzehnten und scheinen sehr viel Erfahrung damit zu haben. Da habe ich mich schon auch gefragt, warum das hierzulande nicht gemacht wird. Bei uns wird ja noch sehr viel „experimentiert“.


C.L.:

Ja, also ich bin jetzt etwa beim dritten oder vierten Medikament…


Steffi:

Ich hatte insgesamt auch vier oder fünf, am Schluss sagte mir meine Psychiaterin, dass ich therapieresistent sei.


C.L.:

Super, das hört man ja immer gern…Es gibt ja auch noch so viele andere Möglichkeiten, als nur Medikamente. Bei mir haben die Medikamente glücklicherweise recht schnell recht gut gewirkt, aber ich hatte auch immer Nebenwirkungen. Und es waren meisten die Nebenwirkungen, die so superselten waren, dass die Ärzte meinten, dass sie das jetzt auch noch nie gesehen hätten! Aber ich hatte sie nun mal trotzdem. Jedenfalls mussten wir deshalb immer wieder wechseln. Mein Traum ist es natürlich, irgendwann wieder medifrei zu sein, aber wir werden sehen. Ich hatte jetzt auch sehr lange keine Zusatzversicherung. Jetzt habe ich eine mit Ausschluss, das heisst, alles, was die Psyche betrifft, übernehmen sie nicht. Aber wenigstens kann ich Leistungen wie Massage darüber abrechnen und das tut ja auch gut. Ich würde jedem und jeder, der/die Kinder hat, empfehlen, eine Zusatzversicherung zu machen, es lohnt sich! Denn sobald du irgendwas hast wird es extrem schwierig, überhaupt noch eine zu bekommen.

Steffi:

Stimmt, danke für den Hinweis. Zurück zum Thema Beruf und Schule, möchtest du da noch etwas anmerken?


C.L.:

Ich möchte die Leute einfach ermutigen, psychische Angelegenheiten zu thematisieren. Vielleicht auch mit der Haltung, dass, wenn nicht verständnisvoll reagiert wird, es auch nicht der Ort ist, wo man sein will. Für mich war es jedenfalls nun eine grosse Befreiung, offen damit umgehen zu können!


Steffi:

Hast du denn neben den verständnisvollen Vorgesetzten noch andere Personen, die dich beruflich unterstützen? Ich hatte zum Beispiel lange Zeit einen Job-Coach der IG Arbeit, der mich begleitet hat.


C.L.:

Ich mache einfach schon lange eine Psychotherapie, da bekomme ich auch immer wieder gute Inputs. Das geht für mich auch in Richtung Coaching. Ausserdem habe ich momentan die psychiatrische Spitex, die zu mir nach Hause kommt. Das kann ich auch sehr weiterempfehlen. Und ich arbeite im sozialen Bereich, da hat man glücklicherweise sowieso noch öfters Gespräche darüber, wie es einem geht und welche Themen einen gerade beschäftigen. Das möchte ich den Leser*innen auch unbedingt noch mitgeben, dass sie auch privat offen über ihre Themen sprechen. Ich habe das in meinem Freundeskreis eigentlich schon immer gemacht und habe zum Glück sehr verständnisvolle Freund*innen. Ich habe also auch sehr viel Glück im Unglück. Obwohl ich mittlerweile auch sagen muss, dass alle diese psychischen Tiefs, die ich jetzt hatte, nicht immer nur ein Unglück waren. Im Nachhinein war jede Krise für etwas gut und hat mich viel gelehrt.


Steffi:

Danke dir vielmals für das Gespräch!




Leidest du unter psychischen Problemen? Bist du in einer schwierigen Situation am Arbeitsplatz, hältst du einen schwierigen Zustand aus, obwohl du kaum noch Energie dafür hast? Melde dich gerne bei uns und wir schauen gemeinsam, was dich im Moment am besten unterstützt.


Weitere Tipps und Hilfsangebote (für die Schweiz) findest du hier.


Bist du ein*e Arbeitgeber*in mit dem Verdacht, dass ein*e Mitarbeiter*in Unterstützung braucht? Dann findest du hier einen Leitfaden für den Umgang mit der Situation.

Für Arbeitgeber*innen, Arbeitskolleg*innen und Vorgesetzte lautet die wichtigste Botschaft: Veränderungen im Verhalten, in der Leistung oder im Aussehen frühzeitig ansprechen und bei Bedarf Unterstützung anbieten. Als Arbeitgeber soll man allerdings keine therapeutische Rolle übernehmen sondern frühzeitig externe Unterstützung anfordern, unter anderem durch eine Früherfassungsmeldung bei der IV. Die Früh­erfassung ist keine IV-Anmeldung, sondern sie hilft den IV-Fach­personen einen Eindruck von den gesundheitlichen Schwierigkeiten und den Problemen am Arbeits­platz zu gewinnen. Erst danach wird geschaut, ob eine IV-Anmeldung Sinn macht und was die nächsten Schritte sein könnten. Und ja, ich weiss, dass der Gedanke, plötzlich mit der IV zu tun zu haben, erst oft sehr erschreckend ist: Meine Erfahrungen waren immer gut und ich fühlte mich wirklich unterstützt.












Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page